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Hoffnungsklänge - ein Pladoyer für die alten Kirchenlieder

© Birgit Arndt / fundus-medien.de

„Dieses Lied kann man heute nicht mehr singen.“ – Solche oder ähnliche Formulierungen begegnen vielen Kirchenmusikern in unseren Tagen immer häufiger.
Die Begründung dafür lautet oft, dass der Text nicht zeitgemäß sei, zu schwer zu verstehen oder die Theologie dahinter nicht mehr passt.
Teilweise ist das nachvollziehbar. Es gibt nun zwei Möglichkeiten mit einer solchen Situation umzugehen.
Möglichkeit 1: Ich suche ein anderes, zeitgemäßeres, leichtverständlicheres Lied oder Möglichkeit 2: Ich versuche das Lied und den Text zu verstehen.
Die erste Möglichkeit scheint oft die bequemere zu sein und nimmt der Gemeinde, aber auch einem selbst, oft einige wertvolle Chancen.
Mich persönlich beschäftigt schon seit einiger Zeit die Frage, was der Wortlaut „zeitgemäß“ bedeutet.

Die Suche nach diesem Wort im Internet liefert mir folgende Erklärung: „den Erfordernissen der jeweiligen Gegenwart entsprechend“.
Zweifelslos ist unsere Gegenwart von vielen existentiellen Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten geprägt. Das hören wir oft genug, sodass es an dieser Stelle nicht notwendig ist, dieses auszuführen.
Was doch aber viel spannender ist, ist die Frage, wie wir als Christen damit umgehen können. Woher nehmen wir unsere Hoffnung, wenn nicht aus unserem Glauben?
Für mich als Kirchenmusiker schöpfe ich aus der Kirchenmusik sehr viel Hoffnung und Trost. Vor wenigen Tagen durfte ich in der Laeiszhalle einer sehr gelungenen Aufführung des Deutschen Requiems von Johannes Brahms beiwohnen – einer Musik, die sich vor allem an die Hinterbliebenen richtet und Trost spenden soll.
Das tut allein schon der Text, den Brahms aus ausgewählten Worten der Heiligen Schrift zu einem neuen Gebilde geschaffen hat. Die Musik transportiert diese Textaussage dann auf einer weiteren Ebene.
Man kann sich der Aussage „Ich will euch trösten, wie Einen seine Mutter tröstet“ (5. Satz des Requiems) nicht entziehen, weil sie so ins Herz trifft – im positiven Sinne.
Die Atmosphäre in der bis auf den letzten Platz besetzten Laeiszhalle war nahezu magisch. Es war absolute Konzentration im Publikum. Ich denke es ist legitim zu behaupten, dass es Brahms gelungen ist, diesen alten Bibeltext auch für unsere Gegenwart zeitgemäß zu vertonen.

In vielen Fällen entsteht Musik durch einen persönlichen Handlungsimpuls verbunden mit einem Willen zur Aussage. Wer Musik, und damit meine ich auch die Auswahl oder Dichtung eines zu vertonenden Textes, schafft, macht sich angreifbar und zeigt sich verletzlich.
Nicht selten stehen hinter den alten Liedern in unserem Gesangbuch persönliche Glaubenserfahrungen und ein sehr starkes Gottvertrauen.

Was sind die Chancen der alten Lieder, von denen ich eingangs sprach? Die Beschäftigung mit alten Gesangbuchliedern kann eine Hoffnungsquelle sein. Sorgen, Nöte und Ängste gibt es seit Beginn menschlichen Lebens.
Bei meinem Einführungsgottesdienst im September 2024 sangen wir das Lied „Warum sollt ich mich denn grämen“ (EG 370). Der Text stammt von Paul Gerhardt (1653) und stellt Jesus Christus in den Mittelpunkt – als Tröster, als Grund unseres Lebens, oder vielleicht in zeitgemäßen Worten als Schlüssel zur Resilienz?
Dieses Lied zähle ich nicht ohne Grund zu meinen fünf liebsten Liedern aus unserem Gesangbuch. In manch schwerer Situation hat mir dieser Choral neuen Mut und Hoffnung geschenkt, weil ich mir bewusst gemacht habe, dass es ein Morgen geben wird, egal wie dunkel es in und um einen ist.
So wurde dieser Choral zu meinem persönlichen Hoffnungsklang. Das dachte sich vielleicht auch Paul Gerhardt, als er diesen Text verfasste.

Ich möchte Sie dazu ermutigen, sich einmal die Zeit zu nehmen, und durch unser Gesangbuch zu blättern. Vielleicht finden Sie auch Texte, die sie besonders ansprechen und aus denen Sie Kraft und Hoffnung ziehen. Das wünsche ich Ihnen jedenfalls von Herzen!

Kreiskantor Benedikt Woll